Teil 4: „Segen und Fluch: Als die Sucht begann“
„Viele Menschen flüchten vor dem, was in ihnen ist – und landen in dem, was sie zerstört.“
– Carl Gustav Jung

Ein Sommer, der alles veränderte
Ich war 14 Jahre alt. Mein einziger Freund Sandro und ich versuchten ständig, irgendwo dazuzugehören.
Wir wollten endlich dazugehören zu dieser Welt unserer Mitschüler – in ihrer Coolness, ihrer Stärke, ihrem Zusammenhalt.
Und dann kam dieser eine Nachmittag, der alles veränderte.
Die anderen planten, gemeinsam in die Badi zu gehen – und das erste Mal zu rauchen. Aus irgendeinem Grund wollten sie,
dass wir auch mitkommen. Vielleicht war es die Angst vor dem Ungewissen. Vielleicht dachten sie:
Wenn wir schon süchtig werden, dann wenigstens gemeinsam – dann sitzen wir im gleichen Boot.
Lachen, Husten, dazugehören
Der Nachmittag war, leider, einer der lustigsten. Wir lachten, husteten wie verrückt – und fühlten uns plötzlich erwachsen.
Cool. Gesehen. Wir wurden aufgenommen. Endlich. Doch das war auch der Beginn einer langen, dunklen Reise.
Was wie ein Spiel begann, wurde zu einer unbändigen Sucht. Ich spürte bald: Ohne Zigaretten konnte ich nicht mehr.
Mein Körper und mein Geist waren gefangen. Ich brauchte sie – in der Hosentasche, ständig griffbereit.
Sonst wurde ich nervös, fahrig, unruhig.
Scham und Versteckspiel
Am schlimmsten war die Scham. Mein Vater hatte mir so oft gesagt: „Beginne ja nicht zu rauchen.“
Ich schämte mich zutiefst. Aber ich war zu tief drin. Wir sahen uns nur abends – so blieb mein Geheimnis lange verborgen.
Nach der Schule waren Sandro und ich fast jeden Tag draußen – rauchend, chillend, hinter der Kirche, am See,
vor dem Jugendtreff, sogar auf dem Kindergartenplatz. Manchmal wurde ich traurig, wenn ich an meine Kindheit dachte –
an die Zeit, bevor alles begann. Die Unschuld, die Freiheit – alles schien so weit weg.
Ein neuer Duft – und die nächste Stufe
Irgendwann – ich war etwa 15 oder 16 – kamen Janosch und Andreas zu uns, als wir wieder hinter der Kirche rauchten.
Sie sahen uns an und fragten:
„Findet ihr Zigaretten wirklich gut? Wir haben was viel Besseres. Und es macht Spaß.“
Dann holten sie ein kleines Säcklein hervor. Ein süßlicher Duft entströmte dem Beutel.
Wir waren sofort neugierig – und gleichzeitig voller Respekt. Es war Marihuana.
Einer von ihnen drehte einen Joint – wie cool das aussah! Selbst das Drehen war eine Kunst.
Dann zündete er ihn an. Der Geruch war intensiv – irgendwie angenehm.
„Wer will probieren?“, fragte er.
Zugehörigkeit im Rauch
In diesem Moment wirkte alles so harmlos. Wir sagten zu – der Joint ging im Kreis.
Und plötzlich war da dieses Gefühl: Zusammenhalt, Zugehörigkeit, Freiheit.
Zuerst war mir mulmig. Doch dann begann das Lachen. Alles war witzig. Ich fühlte mich leicht. Frei.
All meine Probleme, die ich seit 15 Jahren mit mir herumtrug, waren für diesen einen Moment wie weggeblasen.
Der Beginn einer neuen Sucht
Und so waren Sandro und ich wieder mitten drin – in einer neuen Abhängigkeit. Doch diesmal merkten wir es noch weniger.
Das Kiffen machte uns gleichgültig. Sorglos. Zu sorglos.
Doch die Leichtigkeit hatte ihren Preis: Wenn wir kein Gras hatten, wurden wir unruhig.
Drei Joints Vorrat reichten nicht – ich dachte ständig: Woher bekomme ich Nachschub?
War kein Gras da, rauchte ich mehr Zigaretten. Die Dealer wurden gieriger, das Gras teurer.
Ich war süchtig – bis in jede Faser meines Körpers.
Segen und Fluch zugleich
Das Kiffen war meine Flucht – aus der Realität, aus dem Schmerz, aus all dem, was in meinem Inneren brodelte.
Für den Moment war es ein Segen.
Aber es war auch ein Fluch. Denn mit jedem Zug entfernte ich mich weiter von dem Kind, das ich einmal war –
und von dem Menschen, der ich hätte sein können.
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