Teil 2: „ADHS und das Gefühl, falsch zu sein: Verloren in meiner Kindheit“

von | 17. Juli 2025 | Mein Weg

„Ich wusste nicht, was es heißt, wirklich dazuzugehören – aber ich wusste genau, wie sich das Alleinsein anfühlt.“

Die Pflegefamilie – und der Teppichklopfer

Ich kam in eine Pflegefamilie mit zwei Mädchen. Anfangs wusste ich nicht, was auf mich zukam. Ich war klein, verwirrt – und mein Herz sehnte sich nur nach einem: meinem Papi.

Doch wenn ich mich nicht so verhielt, wie man es von mir erwartete, wurde ich bestraft. Man sperrte mich ins Zimmer ein – und mit einem Teppichklopfer schlug man mir auf den Hintern.

Ich erinnere mich nicht an Geborgenheit. Nur an Angst.

Mein Fenster zur Welt

Oft musste ich sehr früh aufstehen – gegen fünf Uhr morgens, wenn mein Papi zur Arbeit ging. Wir wohnten im zweiten Stock. Mein Papi brachte mich dann zur Pflegefamilie im Parterre.

Ich erinnere mich genau, wie ich jedes Mal ans Fenster rannte, kaum dass er gegangen war. Ich zog die Vorhänge zur Seite, um ihn noch ein letztes Mal zu sehen, wie er davonfuhr.

Ich schrie nach meinem Papi. Ich weinte.
Aber es war niemand da, der mich wirklich verstand.
„Ist doch nicht so schlimm“, sagte die Pflegemutter.

Der Kindergarten – Hoffnung und Spott

Irgendwann kam der Tag, an dem ich in den Kindergarten musste. Ich freute mich auf die Kinder. Vielleicht, hoffte ich, vielleicht wird es dort besser.
Doch auch dort… begann das Gleiche von vorn.
Ich wurde ausgelacht. „Dumbo“ nannten sie mich – wegen meiner abstehenden Ohren. Oder „Bassgeige“ statt Pascal.
Die Lehrerin sah das. Aber sie half mir nicht.
Im Gegenteil: Während die anderen draußen spielten, musste ich drinnen bleiben und Strafaufgaben lösen.

Zu sanft für diese Welt?

Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich war schüchtern, sanft – zu feinfühlig vielleicht. Vielleicht war ich zu sensibel für eine laute Welt.
Vielleicht war es mein ADHS, das mich überforderte. Ich weiß nur, dass ich mich oft falsch fühlte. Nicht gewollt. Nicht verstanden.

Wenn ich zur Ruhe kam, war da… keine Ruhe.

Da war Sorge. Wo ist mein Papi? Kommt er heute wirklich wieder? Oder bleibt er diesmal fort?
Diese Angst – sie war ein stiller Schatten, der mich nie verließ.
Ich fühlte mich fremd. Verloren. Ich war geprägt vom Kinderheim. Ich kannte dieses Gefühl des Verlassenseins.

Am Rand der Welt

Und so stand ich wieder einmal da – nach dem Kindergarten. Alle Kinder liefen zu ihren Eltern. „Mami! Papi!“, riefen sie und fielen ihnen in die Arme.
Und ich? Ich stand da – allein.
Keiner, der mich in den Arm nahm. Kein Zuhause, das auf mich wartete.
Ich hörte ihre Stimmen, sah ihre Freude. Sie gingen nach Hause – in eine Familie. Und ich blieb zurück.

Ein Blick von oben

Oft fühlte ich nur Leere. Ich sah mich selbst wie von oben, wie ich da stand – klein, verloren, im Dunkeln.
Ich konnte nichts tun. Ich konnte nur warten.
Warten auf meinen Papi.
Manchmal kam er. Und dann… dann war ich kurz glücklich. Aber das Warten bis dahin – das war ewig.

Vielleicht…

Vielleicht habe ich deshalb heute kein Zeitgefühl.
Vielleicht, weil sich als Kind jede Minute wie Stunden anfühlte, wenn ich auf meinen Papi wartete.

Versteht man das – wenn man es nie erlebt hat?

Können Menschen, die das nie erlebt haben, überhaupt verstehen, wie es ist – als Kind allein dazustehen, in einer so großen, kalten Welt?
Können sie begreifen, was es mit einem Kind macht, wenn es keine Mami und keinen Papi hat, die da sind – immer, verlässlich, liebevoll?

Was blieb

Ich hatte oft Albträume:

  • Von der Leere
  • Von der Dunkelheit
  • Von der Stille
  • Von mir – allein in dieser riesigen Welt

 

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